Thema: “Slow Food – Beispiel für einen einfachen und nachhaltigen Lebensstil”
Barbara van Melle ist Journalistin und Moderatorin. Seit 2006 leitet sie das Slow Food Convivium Wien und setzt sich dafür ein, die Ziele der internationalen Bewegung, die das Geruhsame und Sinnliche gegen die universelle Bedrohung des “Fast Life” verteidigen will, bekannt zu machen.
Der Genuss der Langsamkeit
Slow Food ist mehr als nur das Gegenteil von Fast Food. Es ist die Lehre vom verantwortungsvollen Genießen. Und es ist ein absoluter Megatrend.
Alles muss heute schnell gehen: arbeiten und erholen, schlafen und essen. Letzteres „erledigen“ viele Menschen heute mit „Fast Food“. Dieser fatalen Entwicklung hat Carlo Petrini eine Philosophie des Genusses und einen langsamen, bewussten Lebensstil entgegengesetzt, als er 1986 in Bra im italienischen Piemont mit einer Handvoll Gleichgesinnter den Verein „Slow Food“ gründete.
Keiner der Beteiligten dachte damals, dass sich aus ihrer Aktion gegen geschmackliche Verflachung durch industrielle Einheitsgerichte eine internationale Bewegung entwickeln würde. Petrini meinte einfach, Lebensmittel sollten gut, sauber und fair sein. Das heißt, sie sollen herausragend schmecken, ökologisch und nachhaltig hergestellt werden und den ProduzentInnen einen fairen Preis einbringen. Heute ist Slow Food in 130 Ländern mit rund 100.000 Mitgliedern vertreten. Durch Informationsarbeit, Verkostungen, Geschmacksschulungen, Veranstaltungen und vieles mehr versuchen wir, bei Erwachsenen und Kindern ein Bewusstsein für Qualität, Aroma, Duft und Geschmack von Lebensmitteln zu schaffen. Slow Food fördert das Lebensmittelhandwerk, kleine Betriebe, die bodenständige Gastronomie und die Hersteller von naturnahen, regionaltypischen Lebensmitteln.
Doch all das spielt sich vor dem Hintergrund der weiter rasant abnehmenden Artenvielfalt im Pflanzen- und Nutztierbereich ab. Deshalb setzt sich Slow Food auch mit Nachdruck für Biodiversität, biologische Vielfalt und Regionalität ein. Slow Food will bewusst machen, dass regionale Küchenspezialitäten und Geschmäcker so wie Sprache, Religion,Architektur, Musik und lokale Feste wesentliche Bestandteile einer regionalen Kultur sind, die im Zuge der Globalisierung vom Verschwinden bedroht sind.
Eine Entwicklung, die nahezu unaufhaltsam scheint, denn im Zuge der Industrialisierung unserer Lebensmittelproduktion haben sich in den vergangenen 200 Jahren unsere Esskultur und unser Essverhalten bereits dramatisch verändert. Auch wenn das Angebot an Lebensmitteln in den industrialisierten Ländern noch nie so groß war wie heute, erleben wir nichts anderes als vorgetäuschte Vielfalt. Eine Vielfalt der Marken, der Werbeslogans und der Verpackungen – die überdeckt, dass die wahre Vielfalt fehlt, die des Geschmacks, der Sorten und Arten.
Die FAO schätzt, dass weltweit in den letzten 100 Jahren 75 Prozent der landwirtschaftlichen Vielfalt verloren gegangen sind. Slow Food hat mit der „Arche des Geschmacks“ eine Antwort auf die vom Verschwinden bedrohte Biodiversität gefunden, welche international umgesetzt und gelebt wird. Grundlage bietet die simple Idee, dass man gute schmeckende Lebensmittel die man retten will, ganz einfach essen muss. Ende Oktober 2009 präsentierten wir in Wien die „Terra Madre Austria“, die von 10.000 Menschen besucht wurde. Diese Veranstaltung ist Teil des von Slow Food International initiierten weltumspannenden Netzwerks zur Verteidigung der Biodiversität und der Vielfalt bäuerlich und handwerklich produzierter Lebensmittel. Der „Markt der Vielfalt“ im Arkadenhof des Wiener Rathauses lud ein zum Genießen. Bauern und Bäuerinnen aus ganz Österreich und der Toskana brachten ihre Produkte aus der Arche des Geschmacks, rar gewordene Lebensmittel von hervorragender Qualität.
Neben all diesen Bestrebungen richtet sich Slow Food aber nicht nur und primär gegen Fast Food, sondern allgemein gegen das hektische Treiben unserer Zeit, gegen den vorherrschenden universellen Tempowahnsinn, gegen das „Fast Life“ allgemein. Wir Menschen müssen uns von dieser uns vernichtenden Beschleunigung befreien und zu einer uns gemäßen Lebensführung zurückkehren. Es geht darum, das Geruhsame, Sinnliche gegen die universelle Bedrohung durch das Fast Life zu verteidigen. Deshalb setzen wir gegen diejenigen, die Effizienz mit Hektik verwechseln, den Bazillus des Genusses und der Gemütlichkeit und versuchen damit, zu einer geruhsamen und ausgedehnten Lebensfreude zurückzufinden.
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