Gastbeitrag von Maike Gossen
Wir leben in einer Konsumgesellschaft, genauer gesagt: in einer Konsumsteigerungsgesellschaft. Werbung und Marketing unterstützen den Kreislauf von Konsum und Verbrauch – mit gravierenden Folgen für die Umwelt. Doch einzelne Unternehmen verfolgen einen anderen Ansatz und möchten genau das Gegenteil erreichen: weniger Konsum.
Unser Wirtschaftssystem fußt darauf, dass wir laufend Neues kaufen und verbrauchen. Mittlerweile sind die sozialen und ökologischen Folgeschäden dieser Konsumsteigerung im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Angesichts von Klimawandel, Ressourcenausbeutung, riesigen Müllbergen oder unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Sweatshops wächst die Kritik am Massenkonsum. Häufig werden das Marketing und insbesondere die Werbung für die Konsumsteigerungsmentalität in den westlichen Wohlstandsländern verantwortlich gemacht.
Die Argumentation geht so: Durch manipulative Techniken verführe uns die Werbung zum Kauf überflüssiger Dinge und kurbele damit den Konsum an. Außerdem würden unrealistische Vorstellungen über Lebensstile und Attraktivität vermittelt, die uns unzufrieden machen mit dem was wir haben.
Die Folgen dieser Konsumkultur für Mensch und Umwelt sind gravierend. Und es stellt sich die Frage, ob der Besitz des x-ten T-Shirts wirklich glücklicher und zufriedener macht. Auch, wenn das T-Shirt aus Bio-Baumwolle ist und für den Shopping-Trip nachhaltige Geschäfte besucht werden.
Ein Konsumstil der Mäßigung, der den Namen „Suffizienz“ trägt, verspricht den Ausweg. Gemeint sind Verhaltensweisen, bei denen der Kauf von materiellen Gegenständen reduziert wird oder bei der Nutzung von Geräten und Gegenständen Energie und Ressourcen eingespart werden. Es geht also nicht darum, dieselbe Menge wie gewohnt nur in „grün“ zu konsumieren, sondern insgesamt den Konsum runterzufahren. Welches konkrete Verhalten verbirgt sich dahinter? Zum Beispiel die möglichst lange Nutzung des Smartphones, also bis es tatsächlich nicht mehr funktionsfähig ist, und nicht nur bis es nicht mehr die neuesten technischen Innovationen bereithält. Oder das Tragen eines Kleidungsstücks, bis es nicht mehr geflickt werden kann, und nicht bis es durch eine neue Mode abgelöst wird. Dabei geht es also nicht um Verzicht und Askese, sondern um das individuell notwendige Maß an Konsum.
Und auch wenn es auf den ersten Blick paradox scheint, haben einzelne Unternehmen erfolgreiche Marketinginstrumente entwickelt, um den so genannten „suffizienten Konsum“ zu fördern. Sie stellen zum Beispiel Produkte her, die weniger schnell kaputtgehen oder ganz einfach repariert werden können, damit sie länger nutzbar sind. Oder sie fordern in ihrer Werbung dazu auf, darüber nachzudenken, ob das neue T-Shirt wirklich notwendig ist. Oder sie bieten Dienstleistungen an, die es ermöglichen, Geräte kurzzeitig auszuleihen anstatt sie dauerhaft zu besitzen. Oder sie bauen eine Vertriebs- und Handelsstruktur auf, die auf wenige und regionale Verkaufsorte setzt anstelle die Rund um die Uhr-Kaufkultur im Internet zu fördern.
Am bekanntesten für diese Art des Marketings ist wohl die Kampagne „Don’t buy this jacket“ von Patagonia. Vor einigen Jahren hat der Outdoor-Hersteller ausgerechnet am „Black Friday“, dem wichtigsten Einkaufstag des Jahres in den USA, seine Kundinnen und Kunden dazu aufgerufen, keine neuen Sachen von Patagonia zu kaufen. Dies hat zwar zu einem ordentlichen Umsatzplus geführt – aber immerhin haben die Leute mehr dort gekauft und weniger bei Herstellern, die keine Verantwortung für die Nachhaltigkeit ihrer Produkte übernehmen. Zudem handelt Patagonia seit Neuestem mit gebrauchter Kleidung und bietet einen Reparaturservice für kaputte Produkte an. Auch bei Nudie Jeans kann man die eigene Jeanshose flicken lassen und Vaude unterstützt mit „Do-it-yourself“-Anleitungen die Reparatur von kaputten Produkten der Outdoormarke. Falls dafür Ersatzteile benötigt werden, können diese über den Kooperationspartner iFixit bezogen werden. Dinge selber zu machen wird vom Warenhaus Manufactum sogar als „Glücksbotschaft“ beworben. Allerdings setzt das Glück des Selbermachens voraus, dass man ein passendes Manufactum-Produkt erwirbt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass nicht jede vermeintliche Suffizienz-Botschaft auch tatsächlich zu weniger oder gemäßigterem Konsum führt.
Dennoch: die meisten Beispiele zeigen, wie Unternehmen mit Mitteln des Marketings zur Reflektion der eigenen Konsumbedürfnisse anregen oder mit zusätzlichen Services die möglichst lange Nutzung ihrer Produkte möglich machen. Daran schließt die Frage an, was Unternehmen dazu bewegt, suffiziente Verhaltensweisen zu unterstützen und sich damit von der Wachstumslogik unserer Wirtschaft und Gesellschaft abzuwenden. Einige treibt sicherlich die Einsicht, Mitverursacher der schlechten Umweltverhältnisse zu sein. Andere verfolgen das Ziel, am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben oder neue Zielgruppen zu erschließen – und damit bestenfalls Kund/innen von nicht-nachhaltigen Unternehmen abzuwerben. So oder so, für uns Menschen und die Zukunftsfähigkeit der Erde macht das Umdenken im Marketing Hoffnung.
Wichtig ist: damit nicht nur einige wenige Pionier-Unternehmen Verantwortung für die so dringend notwendige Suffizienzstrategie übernehmen, braucht es politische Rahmenbedingungen. Die schwedische Regierung hat beispielsweise einen Gesetzesentwurf zur Senkung der Mehrwertsteuer für Reparaturen vorgelegt, um der Wegwerfkultur entgegen zu wirken.
Über die Autorin: Maike Gossen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und promoviert an der TU Berlin zu Suffizienzmarketing und der Rolle der Digitalisierung. Ruhe und Ausgleich findet sie beim Yoga.
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